Kulturarbeit in Corona-Zeit ist eine Herkulesaufgabe. Das Planen und Neu-Planen von Veranstaltungen in die Ungewissheit hinein, die Berücksichtigung der vielfältigen, sich immer wieder verändernden Rahmenbedingungen und die stete Sorge um die Sicherheit der Mitwirkenden kosten Kraft, viel Zeit und erfordern ein hohes Maß an Disziplin.
Aber Kultur ist unverzichtbar. Sie ist ein Menschenrecht. Und vielleicht gibt es auch eine Menschenpflicht für jene, die die Möglichkeiten haben, sie zu schaffen oder erlebbar zu machen. In den Worten von Jens Bjorneboe: “Kultur kann nur erzeugt, sie kann nur geschaffen werden. Mit jedem Atemzug stirbt die Kultur. Jeden Augenblick muss sie aufs Neue hervorgebracht werden.”
Freiheit & Religion
Religionen und Religiosität als regulative Ideen wertzuschätzen, wie manche Philosophen dies tun, weil sie eine für das menschliche Zusammenleben notwendige Wertorientierung herstellen, ist ein waghalsiges Vorgehen. Denn nur ein Denken, das unmissverständlich alles infrage zu stellen wagt, ist frei und kann in einem offenen Diskurs überzeugen, d. h. philosophisch sein. Religionen stellen Gemeinschaft her, sie trösten, versöhnen und erklären die Welt und alles, was in ihr ist. Sie drehen sich argumentativ im Kreis und sind genügsam. Sie wollen so sein. Philosophisches Denken hingegen vereinzelt, es ist anmaßend, unbescheiden. Es beunruhigt, spottet und hinterfragt das Gegebene. Säkulare Bildung, so zeigt die Autobiografie von Tara Westover, ist ein Weg, die Welt des religiösen Zusammenhalts in kleinen Schritten zu verlassen. Es gibt Gewinn und Verlust für den, der seine religiöse Bindung aufgibt. Auf der Seite des Gewinns stehen die Klarheit des Denkens, die Kraft neuer Argumente und die Bedeutung des Augenblicks. Auf der anderen Seite stehen Einsamkeit, Untröstlichkeit und Nichtwissen. Die Erinnerungen Tara Westovers sind ein eindrucksvolles Beispiel für die Geschlossenheit religiösen Denkens und für den Preis, den derjenige zahlt, der sich für säkulare Bildung entscheidet.
Wieso weshalb warum?
Es heißt, wer nicht fragt, bleibt dumm. Und wer will schon dumm sein? Aber so voraussetzungslos, wie der Sesamstraßen-Reim nahe legt, ist das Fragen nicht. Wie viel muss ein Fragender bereits wissen, um eine gute Fragen stellen zu können?
“Es ist schon ein großer und nötiger Beweis der Klugheit oder Einsicht, zu wissen, was man vernünftiger Weise fragen solle. Denn wenn die Frage an sich ungereimt ist und unnötige Antworten verlangt, so hat sie […] bisweilen noch den Nachteil, den unbehutsamen Anhörer derselben zu ungereimten Antworten zu verleiten und den belachenswerten Anblick zu geben, daß einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhält.” (Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft 1781 zitiert Ausgabe Darmstadt 1956, S. 102)
[Eine Fragestellung im Methoden-Seminar “Expertenbefragung” an der Universität Vechta WS 2019/20]
Erlebnis-gesellschaft
Gerhard Schulze beschrieb 1993 den Wechsel von der Knappheits- in die Überflussgesellschaft mit der Charakterisierung unterschiedlicher Denkungsarten. In einer Gesellschaft, in der alles knapp ist, richte sich Denken und Handeln auf die Beherrschung und Stabilisierung der äußeren Situation: Welche Tätigkeiten werden mein Leben materiell absichern? Welche Dinge habe ich am Nötigsten und welche erfüllen die Aufgabe, für die ich sie erwerbe, am besten? Das Denken in einer Überflussgesellschaft hingegen richtetet sich auf den Erlebnischarakter von Dingen und Situationen: Werde ich mich bei dieser Tätigkeit gut fühlen, passt sie zu mir? Welche Dinge gefallen mir?
Viele seiner damaligen Leser konnten diesen Wandel in ihrer eigenen Biografie wiederfinden, lagen Kindheit und Jugend doch in den 60er und frühen 70er Jahren. Eine Generation später lässt sich fragen: Wie wird dieser Wandel für jene plausibel, die niemals unter der Bedingung von Knappheit lebten? Kann “außengeleitetes Denken” reflektierend nachvollzogen werden?
Das Buch “Die Erlebnisgesellschaft” von Gerhard Schulze ist Thema des vierten Abends im Kurs “Zeitdiganosen” an der VHS Osnabrück.
Risiko-gesellschaft
1986 schrieb Ulrich Beck seinen Bestseller “Risikogesellschaft”. Eine Veröffentlichung, die bereits in ihrem ersten Jahr Furore machte und seitdem nichts an Aktuallität verloren hat. Das ist schon sehr erstaunlich, angesichts der 34 Jahre, die inzwischen vergangen sind. Welche Facette unserer Gesellschaft könnte ein soziologisches Sachbuch heute thematisieren, um dann auch noch im Jahr 2043 mit Aufmerksamkeit gelesen und diskutiert zu werden? Beck charakterisierte die Gesellschaft der 80er Jahre folgendermaßen: “In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken. Entsprechend werden die Verteilungsprobleme und –konflikte der Mangelgesellschaft überlagert durch die Probleme und Konflikte, die aus der Produktion, Definition und Verteilung wissenschaftlich-technisch produzierter Risiken entstehen. […] Gesellschaften, die zunächst verdeckt, dann immer offensichtlicher mit den Herausforderungen der selbstgeschaffenen Selbstvernichtungsmöglichkeiten allen Lebens auf dieser Erde konfrontiert sind, nenne ich Risikogesellschaften.”
Das Buch “Risikogesellschaft” von Ulrich Beck ist Thema des zweiten Abends im Kurs “Zeitdiagnosen” an der VHS Osnabrück.
Prävention wofür?
Fachtagung der Bundeszentrale für politische Bildung in Frankfurt
Fazit als Teilnehmerin
Ist Demokratie eine Form oder ein Inhalt, eine Methode oder eine Weltanschauung? Ein konstanter “demokratischer” Inhalt lässt sich, historisch betrachtet, nicht finden. Ressentiments und Nationalismus sind auch in starken Demokratien zu finden.
Unsere Gesellschaft besteht aus einer Kombination demokratischer und anderer Systeme. Das demokratische Verfahren ist eine Strategie, Antworten auf Zukunftsfragen - und Lösungen für Konflikte - zu finden. Eine andere Strategie ist die autoritäre Entscheidung. Sie findet Anwendung in Wirtschaftsunternehmen, innerhalb der Verwaltung, in Kirchen und Familien. Demokratie als Form der Entscheidungsfindung im Gemeinwesen ist deshalb anderen Entscheidungsformen vorzuziehen, weil es einen ausgedehnten Prozess der Interessenbekundung und des Interessenausgleichs gibt. Entscheidungen beruhen - idealerweise - auf den Gedanken und Überlegungen vieler und haben die Interessen aller im Sinn. Einzelnen Personen oder Personengruppen kann die Berücksichtigung aller Interessen beim besten Willen nicht gelingen.
Eine Gefahr für die Demokratie ist ein zu hoher Anteil an gewählten Nichtdemokraten in demokratisch gewählten Gremien. Sollten aus diesem Grund Maßnahmen getroffen werden? Sollten
Demokratieverständnisse in politischer Bildung und sozialer Arbeit
Nichtdemokraten in Ämtern, in die sie gewählt wurden, isoliert werden? Die Geschichte Nachkriegsdeutschlands zeigt: Demokratien können auch dann stabil sein, wenn es einen hohen Prozentanteil von Anhängern autoritärer Entscheidungen gibt.
Was könnte das Ziel politischer Präventionsarbeit sein? Bürger davon zu überzeugen, dass sie - neben allem, was sie sonst noch sind - Teil einer Gemeinschaft sind, in der sie das Recht (und vielleicht auch die Pflicht) haben, sich für ihre Interessen und ihre Zukunftsvisionen einzusetzen. Das Ziel von Präventionsarbeit sollte sein, Menschen davon zu überzeugen, dass es richtig ist, seine Meinung offen und selbstbewusst vorzutragen und für sie einzustehen. Präventationsarbeit wird falsch verstanden, wenn sie zu politischem Wohlverhalten erzieht. Angst vor Konflikten und Aushandlungsprozessen können die Akzeptanz von Demokratien dramatisch vermindern. Insgesamt könnte es eine gute Idee sein, den Prozess des Aushandelns mehr in den Vordergrund der politischen Berichterstattung zu stellen. Ein wichtiges Ziel, das die Demokratie verfolgt, ist die Herstellung von sozialem Frieden. Hierfür müssen alle gesellschaftlichen Gruppen in ihren Interessen wahrgenommen und berücksichtigt werden - ihnen muss bewusst sein, dass dies geschieht.